Über Verzweiflung und Vernunft

Jetzt im Nachhinein bin ich wirklich froh, dass ich nicht wie ursprünglich geplant nach dem Tee-Workshop nach Melaka gefahren bin. Die Fahrt(en) dauerten nämlich deutlich länger als ich angenommen hatte und so war es sehr gut, dass ich am Tag nach der Feierei schon mittags aufgebrochen bin. Vom Hostel zum Singapurer Busbahnhof, von dort bis zur Grenze, mit einem öffentlichen Bus zum Busterminal von Johor Bahru, der Stadt in Malaysia, die direkt an Singapur angrenzt, und schließlich mit einem dritten Bus nach Melaka. In meinem Reiseführer habe ich eine Adresse eines Hostels herausgesucht, die ich dem Taxifahrer nannte. Nach einem halben Tag Busmarathon war ich endlich angekommen. Das Hostel war menschenleer, nur ein einziger Franzose hatte sich eingebucht. Allerdings schlief der die ganze Zeit und so kam es mir vor als wäre ich der einzige Gast. Dementsprechend ruhig war es, nicht einmal Radiomusik oder ähnliches war zu hören.  

Links: Ein leeres Bett neben dem anderen... Oben: Am Ende des Ganges das Universal-Bad-Küchen-Wasauchimmer
Links: Ein leeres Bett neben dem anderen... Oben: Am Ende des Ganges das Universal-Bad-Küchen-Wasauchimmer

Bei meinem Versuch, um 20 Uhr etwas zum Abendessen zu finden, bin ich lange durch die dunkle, verlassen wirkende Stadt gelaufen, bis ich endlich einen kleinen Straßenverkauf fand, wo ich wenigstens etwas Reis und gebratenes Fleisch bekam. Wie merkwürdig – in Melaka leben über 500.000 Menschen und doch wäre in meinem Heimatstädtchen Altdorf mit einem Bruchteil an Einwohnern um die Uhrzeit noch mehr los. Als dann noch die Rufe eines Muezzins durch die leeren Straßen hallten – in Malaysia sind 60% der Menschen muslimisch – kam ich mir vor wie in einer Gespensterstadt... Etwas irritiert und durcheinander ging ich zurück ins Hostel und kam mir zugegebenermaßen sehr verloren vor. Ich hatte keine Erwartungen an Malaysia, aber zumindest Melaka, das als eines der kulturellen Highlights des Landes gilt, hatte ich mir dann doch etwas... lebhafter vorgestellt. Ziemlich enttäuscht schlief ich unter dem lauten, beständigen Surren der Ventilatoren ein.

Nach nur kurzer Suche fand ich am nächsten Morgen immerhin ein schönes Café am Fluss, in dem ich frühstückte.  

Nach einem leckeren Fruchtshake und dem guten Frühstück fasste ich neuen Mut und nahm mir vor, etwas die Stadt zu erkunden. Aus dem Plan wurde aber nichts, da ich über meinem Computer versackt bin und mich den ganzen Tag über mit eigentlich unnötigen Dingen beschäftigt habe. Wie eine Eule kroch ich nachts aus dem Schlafsaal und stattete dem Nachtmarkt, der immer am Wochenende stattfindet, einen Besuch ab.

Und da, dicht gedrängt, waren nun die ganzen Menschen. Endlich!  

Zufälligerweise bin ich an einem Restaurant vorbei gelaufen, das die malaysische Nationalspeise, das Laksa, anbot. Laksa ist wie ein Curry ein suppenähnliches Gericht auf der Basis von Kokosmilch mit Nudeln, Gemüse, Fleisch und Chili zubereitet wird. Obwohl auf der Karte extra ein Zeichen für „scharfes Gericht“ hinter Laksa gesetzt war, traute ich mich und bestellte. Diejenigen unter euch, die mich und meine Essgewohnheiten kennen, wissen, dass schon zu viel Pfeffer mir manchmal zu scharf ist ;-) Aber ich teile euch stolz mit, dass ich die ganze Schüssel aufgegessen habe, auch wenn mir danach die Lippen, die Zunge und der Rachen brannten wie Feuer.

Obwohl man jetzt meinen könnte, dass mit dem Nachtmarkt meine seltsame Stimmung hätte verflogen sein müssen, überkam es mich später doch noch als ich schon im Bett lag. Beim Musikhören hatte ich so einen Rappel, ich dachte wirklich, ich kann nicht mehr. Auf einmal kamen all die Fragen und Ängste der letzten Monate, die ich mal mehr, mal weniger bewusst im Hinterkopf vor mir hergeschoben habe, gleichzeitig und mit voller Wucht hoch. Wo gehöre ich hin? Was will? Werde ich die richtigen Entscheidungen treffen?

Unter Tränen, die gar nicht mehr aufhören wollten, steigerte ich mich in meinem leeren Hostelschlafsaal so sehr in meine Verzweiflung über die Frage, wie ich es noch so lange allein auf Reisen aushalten sollte, hinein, dass ich vor mir selbst erschrak. Mitten in der Nacht stand ich also wieder auf, setzte mich an einen Tisch und ordnete meine Gedanken mithilfe von Stift und Papier.

Indem ich mir meine Situation schwarz auf weiß vor Augen hielt, machte ich mir klar, dass es niemandem etwas bringt, wenn ich in unbegründetes Selbstmitleid verfiel. Ich selbst habe mir diesen Weg ausgesucht und sollte doch stattdessen diese wunderbare Gelegenheit, noch mehr von der Welt zu sehen, weiterhin in vollen Zügen ausnutzen. Andere würden weiß Gott was dafür geben, diese Reise zu machen und ich tat unverschämterweise nichts besseres als in Resignation darüber zu versinken, dass meine allerliebste Krissi nun wirklich nicht mehr an meiner Seite war, um all die Momente zu teilen, dass ich mir unangenehm anders vorkam in diesem Land mit seinen verschleierten Frauen und der fremdartigen islamischen Religion, dass der größte Teil der lang ersehnten Reise um die Erde nun schon hinter mir lag war und ich somit zugegebenermaßen einer ungewissen Zukunft gegenüber stehe.

Dass Alleinreisen und das damit verbundene „mit mir allein sein“ so anstrengend sein könnte, hätte ich wirklich im Leben nicht gedacht...

Als hätte es diesen Ausbruch gebraucht um mich wachzurütteln, beschloss ich, mir ab diesem Moment das Jammern zu verbieten und zukünftig – ganz klassisch – das Beste aus allem zu machen.

Der erste Schritt in diese Richtung war, gleich am nächsten Morgen aus diesem Trauerspiel an Hostel auszuziehen und mir eine neue Unterkunft zu suchen. Das Rooftop Guesthouse schien mir da vielversprechend und tatsächlich kam ich auch gleich nach meiner Ankunft dort mit einigen anderen Gästen ins Gespräch. Einer von ihnen, Denis, ein aus Singapur stammender Mittvierziger, bot mir an, mir ein paar leckere Restaurants und Essensstände zu zeigen und mir die malaysische Küche näher zu erklären. Auf dem Weg durch die Stadt deutete er mal nach rechts, mal nach links und markierte in meiner Karte alle empfehlenswerten Essensangebote. Zum Ende unseres Spaziergangs lud er mich auf ein Cendol ein, eine malaysische, sehr erfrischende Süßspeise mit Bohnen, glibberigen Reisnudeln, geraspeltem Eis und Kokosnussmilch. Klingt merkwürdig, schmeckte aber fantastisch.  


Nach dieser netten Begegnung schlenderte ich noch ein wenig durch die historische Altstadt, die maßgeblich von den Holländern geprägt wurde, die Melaka im 17. und 18. Jahrhundert regierten. Das Stadthuys und ein paar alte Grabsteine auf dem St.Paul's Hill zeugen noch davon.

Abends zog es mich nochmal auf den Jonker Walk, also den Nachtmarkt. Wieder wagte ich mich an vollkommen unbekanntes Essen – irgendwelche gegrillten Spieße – und probierte als Nachspeise ein mit Duriancreme gefülltes Teigbällchen, was aber ganz furchtbar geschmeckt hat (Durian ist eine Frucht, die bestialisch stinkt und zumindest mir anscheinend überhaupt nicht schmeckt).




Zum Glück sind die Preise in Malaysia ja sehr niedrig, sodass man solche Fehlversuche durchaus verkraften kann. Stattdessen gab's dann eine Schokowaffel. Die war super ;-)

Nach all dem asiatischen Essen konnte ich beim sonntäglichen Frühstück dem Verlangen nach einem europäischen Müsli mit Joghurt und Früchten nicht widerstehen. Naja, muss auch mal sein, oder?


Danach war es an der Zeit, ein zweites Mal innerhalb von nur vier Tagen meine Unterkunft zu wechseln, denn mein Bett im Rooftop war nur für eine Nacht frei gewesen. Die letzte verbrachte ich im Riverside Guesthouse, wo ich mir mit zwei Deutschen das Zimmer teilte. Einer kam sogar aus Altdorf, allerdings dem bei Landshut. Obwohl wir drei uns überhaupt nicht kannten, hatten wir den ganzen Nachmittag über anregende Reisegespräche und erzählten von unseren jeweiligen Erfahrungen.

Auf Empfehlung des einen bin ich in ein indisches Restaurant, wobei das Wort nach mehr klingt als es war. Letztendlich ähnelte es eher einer Kantine, doch das Essen war sagenhaft lecker. Für umgerechnet nicht einmal 2,50€ inklusive Getränk bekam ich eine Auswahl an Gemüse und Reis auf einem Bananenblatt serviert. Da man traditionell in diesen sogenannten Banana Leaf Restaurants mit der Hand isst, probierte ich das natürlich auch aus und nicht nur ich hatte meinen Spaß daran, auch die Kellner lächelten verstohlen über die Touristin, die da ungeschickt versuchte, ihren Reis mit der rechten Hand vom Bananenblatt zum Mund zu führen.


Bei einem Spaziergang am Fluss entlang, verdaute ich das üppige Mahl und genoss gleichzeitig die ruhige Stimmung.

Bevor ich am nächsten Tag nach Kuala Lumpur, Malaysias Hauptstadt, aufbrach, ging ich nochmal den gleichen Weg wie am Vorabend, da mir die Route bei Nacht so gut gefallen hatte. Bei Tageslicht war allerdings der größte Teil des nächtlichen Charmes verschwunden... Trotzdem blieben aber natürlich ein paar Ecken auch bei Tag ganz schön.

Mit dem Gefühl, nun wirklich genug von Melaka gesehen zu haben und auch ein bisschen Erleichterung, dieses heikle Kapitel meiner Reise nun hinter mir zu lassen, stieg ich nachmittags mit neu gewonnener Reiselust in den Bus nach Kuala Lumpur.

Kommentare: 3
  • #3

    Alena (Samstag, 20 Juni 2015 01:12)

    Onkel Dietmar, in der Tat vermiss ich diese Sachen sehr und freue mich, dass ich sie in einer Woche wieder genießen kann :-)

  • #2

    Onkel Dietmar (Montag, 15 Juni 2015 08:23)

    Genieße noch die letzten Wochen....wird Zeit das jetzt heimkommst....bei uns ist jetzt schön warm...Gutes Schwarzbrot und fränkische Bratwurst...kühles Bier....Stefan hat sehr lecker gegrillt....

  • #1

    Mama (Montag, 08 Juni 2015 14:36)

    Bei deinen Traueranfällen werden ja meine Mutterinstinkte vollkommen aktiviert, obwohl du schon so "alt" bist. Ich komme , mein Schatz, und steh dir bei!! ;-)